noch bevor ich ihn sah

ich hörte simon, noch bevor ich ihn sah, denn er trug – wie eigentlich immer – seine seltsamen schuhe, die bei jedem schritt dieses ganz spezielle geräusch von sich gaben, so als würde jemand ein halb ausgebrütetes straußenei aussaugen. schon allein die vorstellung, den inhalt eines halb ausgebrüteten straußeneis im mund zu haben, sorgte bei nicht wenigen für leichte übelkeit und führte dazu, dass sie simon und seine schuhe mieden. nicht, weil sie ihn nicht leiden konnten. sie wollten ihm nur einfach nicht auf seine schuhe kotzen. ich hingegen mochte simon, der zwar nicht besonders helle, dafür aber ein durch und durch liebenswürdiger kerl war, seine schuhe und auch dieses ganz spezielle geräusch, das mich irgendwie an meine kindheit erinnerte.
„hallo simon“, sagte ich, als simon um die ecke bog und vor mir stehen blieb, woraufhin das geräusch augenblicklich verstummte.
„hallo“, sagte auch simon und fing sogleich an, mit einer hand hektisch in seiner jackentasche zu wühlen, während die andere hand einen holzknüppel fest umklammert hielt. „ich habe jetzt eine fahrradklingel“, sagte simon, als er diese schließlich in der tasche gefunden hatte und mir voller stolz präsentierte.
„cool“, meinte ich, da ich wusste, wie sehr sich simon eine fahrradklingel gewünscht, jedoch nie bekommen hatte. „wo hast du die denn her?“, fragte ich ihn, während er mir vorführte, wie laut die klingel klingeln konnte, wenn man denn nur wollte und den zahnradmechanismus innerhalb der metallenen glocke pausenlos betätigte.
„der alte john hat sie mir gegeben“, sagte simon, während das klingeln langsam in meinen ohren zu schmerzen begann. „er hat sie mir… geschenkt.“
„vom alten john also, hm“, wunderte ich mich, denn der alte john war eigentlich ein überaus geiziger mensch. er hatte noch nie jemanden etwas geschenkt.
„ja, vom alten john“, bestätigte simon, wobei er mich verdächtig unschuldig anschaute und den knüppel verdächtig unauffällig hinter seinem rücken verschwinden ließ. „er hat mir die fahrradklingel geschenkt. kurz bevor er… verreist ist.“
„der alte john ist verreist?“ so weit ich mich erinnern konnte, war der alte john noch nie verreist.
„nach, äh… panama“, sagte simon, und ich nickte.
„panama, hm. nun ja, warum auch nicht. panama ist sicherlich eine reise wert.“
simon lächelte mich verlegen an. er hatte mittlerweile aufgehört zu klingeln.
„hör mal, simon“, sagte ich und legte ihm eine hand auf die schulter. „der knüppel da, hinter deinem rücken… vielleicht wäre es keine schlechte idee, wenn du ihn dort drüben in den container werfen würdest.“
ich zeigte auf den großen müllcontainer auf der anderen straßenseite.
„meinst du wirklich?“
„ja, das meine ich wirklich.“
simon überlegte kurz, bevor er schließlich sagte: „vielleicht… hast du recht. ich brauche den knüppel ohnehin nicht mehr.“
„und simon, noch etwas. wenn dich jemand nach der klingel fragt, sag einfach, du hast sie auf der straße gefunden.“
simon nickte, steckte die fahrradklingel zurück in seine jackentasche und setzte sich in bewegung. sofort war wieder dieses ganz spezielle geräusch zu hören, und ich musste unweigerlich an das aussaugen eines halb ausgebrüteten straußeneis denken und schmunzelte.
„mach’s gut, simon“, rief ich ihm hinterher, als er die andere straßenseite erreicht hatte. er winkte mir kurz mit seiner keule zu, bevor er sie in den container warf und um die nächste ecke verschwand.

Über christian s.

das, was ich hier hinein schreibe, wird dann später für alle sichtbar sein.
Dieser Beitrag wurde unter heiliger bimbam veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Kommentare zu noch bevor ich ihn sah

  1. herraermel sagt:

    ich bin gerührt. das meine ich ganz ernst.

  2. christian s. sagt:

    das finde ich gut. (meine ich auch ernst.)

Kommentare sind geschlossen.